Der Zorn ihres Vaters



 Die Nacht war kalt. Der Schnee fiel weich auf sie herab, benetzte ihren Hut vermutlich mit Flöckchen, ließ ihren Mantel weiß werden.
  Seit einer Ewigkeit stand sie auf dem Dach des kleinen Hauses, in dem sie mit ihrem Vater wohnte, und starrte aufs Meer hinaus. Es war düster und es würde schwarz erscheinen, wenn sich nicht der Mond samt Sternen darin spiegeln würde. Dort draußen, weit weg von ihr, trieb ein Schiff auf dem Wasser. Jon und Lord Hayes befanden sich auf diesem und entfernten sich immer weiter von ihr.
Ein Windstoß erfasste sie eisig kühl, kroch unter ihr Gewand und ließ sie frösteln. Sie biss die Zähne aufeinander, damit sie nicht verräterisch klappern konnten.

Miller hatte ihr eröffnet, dass er mit Lord Ashwood auf dessen Landsitz gehen würde, um dort in der Leibgarde des Mannes zu dienen. Der Abschied von Jon hatte ihn offenbar etwas aus seinem Gleichgewicht gebracht und fiel ihm schwerer, als er zugeben würde. Das galt für sie beide, wenn sie es sich eingestand. Nun hatte sie in einer Nacht zwei Freunde verloren. Ihre einzigen Freunde, wenn man es genau nahm, was die Traurigkeit nicht verscheuchen konnte, sondern gar schlimmer machte.
Ein tiefer Atemzug vertrieb die Tränen, die in ihren Augenwinkeln brannten, welche sie jedoch nicht an die Oberfläche lassen würde.
Nur eine Sache, ein einziger Mensch auf dieser unendlich weiten und unendlich trüben Welt, hielt sie davon ab, sich das Leben zu nehmen, dem sie nicht allzu viel Wert beimaß. Er war der einzige Trost, den sie finden konnte, doch er wusste es nicht einmal. Ihm war nicht bewusst, wie viel er ihr bedeutete. Und selbst, wenn ihm dieser Umstand klar wäre, würde das nichts an der Tatsache ändern, dass sie sich seine Liebe wünschte, doch bloß seine Freundschaft bekommen konnte. Nicht mehr. Doch auch nicht weniger… Wie sie zumindest inständig hoffte.

Ihre langsamen Schritte führten sie über den Balkon in einen Raum, der in völliger Dunkelheit lag, bis auf eine kleine Kerze auf dem runden Tisch in der Ecke. Es war der Ort, den sie ihr Zuhause nannte, doch an dem sie sich alles, nur nicht zuhause, fühlte. Ein kaum hörbares Seufzen entrang sich ihrer Brust, als sie die Türe öffnete, die in ihr Schlafzimmer führte.
„Vater.“, murmelte sie, um den großen Mann auf sich aufmerksam zu machen. Das gelang ihr, er wandte sich zu ihr um.
Ihre Blicke trafen sich und der seine mutete kalt an, doch an diese Kälte war sie ihr ganzes Leben lang gewöhnt. Sie konnte nichts in ihr auslösen.
Schwach nickte er in Richtung der kahlen Wand neben dem schlichten Bett.
Gehorsam trat sie vor diese und drehte ihm den Rücken zu, um sich ihres Mantels und des Leinenhemdes zu entledigen und beides auf die weiche Decke zu werfen, welche sie in den kalten Winternächten wärmte.
Für ihre Widersetzung würde sie ihre gerechte Strafe erhalten. Die übliche Bestrafung, an die sie ebenfalls gewohnt war.
Behutsam legte sie die Finger an die raue Mauer und ihre Wange darauf. Sie konnte hören, wie er die Truhe öffnete und etwas daraus hervorzog, von dem sie nur allzu gut wusste, was es war und wie es sich auf ihrer Haut anfühlte.
Seine schweren Schritte waren deutlich zu vernehmen, als er sich ihr ohne ein Wort zu sagen näherte und schließlich stehen blieb.
Mädchen schloss die Augen und sah sein Gesicht vor sich… Es half ihr, die Pein zu ertragen, die sie stets so beherrscht zurückhielt, um nicht den Zorn ihres Vaters durch gezeigte Schwäche heraufzubeschwören.

Nur Sekunden später holte er aus und die Peitsche züngelte nach ihrem Rücken, um ihre Haut zu zerfetzen und ihr Schmerz einzubringen.
Er machte keine Pause, sondern hieb weiter mit dem schnalzenden Biest auf sie ein. Bei jedem Schlag zuckte sie kaum merklich zusammen und unterdrückte das Stöhnen, das über ihre Lippen kommen wollte. Ihre Zähne bissen fest aufeinander, ihre Zungenspitze dazwischen eingeklemmt, und pressten sich so fest zusammen, bis sie Blut schmeckte, welches auch in Rinnsalen ihren Rücken hinablief.
Ihre Augen brannten, doch sie gestattete sich nicht, ihre Wangen mit Tränen zu benetzen. Sie konnte das hier ertragen. Sie würde in der Dunkelheit seine Züge mustern und sich schließlich in den Tiefen seiner wunderschönen Augen verlieren. Wie unzählige Male zuvor.
Es war eine Illusion, denn er war nicht wirklich hier, nicht an ihrer Seite, doch war die Einbildung verwerflich, wenn sie ihr solchen Nutzen einbrachte?
Wohl kaum und aus diesem Grund beschloss sie, in der Träumerei zu leben, da ihre Wirklichkeit – das nachtschwarze Dunkel, das sich selbst von hellstem Sonnenschein nicht vertreiben ließ – nichts war, worin sie gerne verweilte.
„Du wirst lernen, mir zu gehorchen, Mädchen. Selbst wenn deine… Gefühle dich zu einer anderen Vorgehensweise drängen, wirst du künftig die meine wählen.“, stieß ihr Vater fordernd hervor und sie zwang ihr Haupt zu einem knappen Nicken, um ihm zu zeigen, dass sie ihn verstanden hatte.
Die Art, wie er das Wort Gefühle betonte, machte sie erneut darauf aufmerksam, wie er über derartige Regungen dachte.
Das war ihr klar gewesen, seit sie Denken konnte, doch hinderte ihr törichtes Herz nicht daran, höher zu schlagen, wenn er ihr nahe war…
„Du wirst ab dem kommenden Sonnenaufgang anfallen, wen ich dir befehle, anzufallen. Wie ein Hund, ein blutrünstiger Hund, der zerfetzt, was ihm sein Herr erlaubt, zu zerfetzen.“
Begleitetet vom Schnalzen der Peitsche, die ihre Rückseite inzwischen gefühllos zurückgelassen hatte, drang seine tiefe, dunkle Stimme zu ihr vor. Diese klang kühl, doch sie spürte den heißen Zorn, den sie verursacht hatte.
Er ließ von ihr ab, nach einer Zeit, die ihr wie eine ganze Ewigkeit vorgekommen war, und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen. In der Tür hielt er noch einmal inne, wie sie aus dem Augenwinkel verschwommen erkennen konnte. „Und halte dich von diesem Kutscher fern.“

Danach war er verschwunden und ließ sie mit dem Befehl alleine, der noch in der stickigen Luft hing. Einem Befehl, den sie gezwungen war, zu ignorieren, ganz gleich welche Strafe ihr drohte. Ein Befehl, dem sie nicht gehorchen konnte, da ihr Herz sie dazu zwang, ihn zu missachten.
Mit einem zittrigen Einatmen griff sie nach dem Hemd, um es sich über den Kopf zu ziehen, obwohl sie sich kaum bewegen konnte. Die Nässe ihres eigenen Blutes ließ den Stoff nass an ihrer Haut kleben.
Vorsichtig legte sie sich in ihr Bett, um dem Schwindel nicht die Möglichkeit zu geben, sie auf dem harten Steinboden unter ihren schwachen Füßen schlafen zu lassen.
Sie schloss die Augen und sah vor sich… wie immer sein Gesicht mit diesen einzigartig gefärbten Augen, die ihr stets den Atem stocken ließen.




© 2014 by Tharah Meester

2 Kommentare:

  1. Hey!
    Wow, das ist sehr treffend beschrieben, so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Da muss ich mir immer vor Augen halten, dass sie es trotzdem geschafft hat ♥

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    1. Freuen uns, dass du gleich reingeschaut hast! :) Und dass das Kapitel gelungen und passend ist.

      Natürlich, ihr zartes, gutmütiges Herz konnte niemand in Stein verwandeln ♥

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